Wer hätte das gedacht – der schlagfertige Hoteldirektor mit den achteckigen Brillengläsern hält eine ganz ruhige Überraschung für mich bereit. Den so genannten „Raum der Stille“ im Hotel Oberstdorf.
Ob ich da überhaupt reindarf? „Ich bin eher laut“, gebe ich zu und lächle entschuldigend. „Das macht nichts“, sagt Sebastian Reisigl milde. „In diesem Raum kommt jeder zur Ruhe.“
Ich bin gespannt, ob das auch bei hektischen Journalistinnen funktioniert.
Neugierig quere ich den Alpenwellness-Bereich – in dem man nicht nur reden und lachen, sondern auch essen und trinken darf. Darf? Soll! Hier serviert das Team zwischen grauen und bordeauxroten Ohrensesseln und einem offenen Kamin in einem adretten Schälchenarrangement (Bentobox) kleine Speisen.
„Hier kannst du mit Freundinnen ein Glas Sekt oder Wein trinken und dich amüsieren. Das ist unser Wellness-Wohnzimmer“, sagt der Ich-bin-der-Sebastian-Hoteldirektor und schaut zufrieden zwischen dem frischen Obst, dem 30-Grad warmen Becken mit Außenpool und den gemütlichen Sitzecken mit Wolldecken hin und her. Genau meine Welt – die ich jetzt durch eine Geräuscheschleuse verlassen soll.
Hinter einer Tür steigen wir eine hölzerne Wendeltreppe durch Zirbenholzduft auf in einen Raum, den es so im Allgäu nur einmal gibt: Holzboden? Klar. Wasserkrüge mit Zirbenkugeln? Kenn ich. Liegen? Ja, aber schräg und dicht und irgendwie offen und doch geschützt. Wände aus gepresstem Heu? Einzigartig! Ich streiche über die Struktur, fühle einzelne Halme und rieche Heuernte im Hochsommer. Die Wand sieht aus wie ein riesiger, platt gedrückter Ballen. In regelmäßigen Abständen spitzeln sogar Blüten durch.
„Diesen Raum haben wir mit einem Schallspezialisten entwickelt. Wir wollten einen Raum haben, der jedes Geräusch schluckt. Wir wollten die absolute Stille.“ Und tatsächlich. Wenn ich nichts sage, höre ich absolut nichts. Nur noch meinen eigenen Atem. Selbst meine sonst eher kräftigen Schritte klingen dumpf. Schlägt mein Herz irgendwie langsamer? Ich muss plötzlich tief Luft holen und entspanne mich schlagartig beim Ausatmen.
Die Stille berührt mich. „Hier bekommen die Leute Ganzkörpergänsehaut“, sagt Sebastian Reisigl. „Und einen klaren Kopf.“ Ich nicke langsam voller Anerkennung bis ich den Lautsprecher in der Ecke entdecke.
Was macht der denn im Raum der Stille? Ich runzle die Stirn. Der Hoteldirektor folgt meinem kritischen Blick und lächelt: „Der ist gar nicht angeschlossen. Den haben wir nur zur Sicherheit installiert. Mein Architekt hat beim Bau mehrfach betont, dass man Menschen nicht in einem Raum ohne jedes Geräusch alleine lassen kann.“
Und? „Geht.“, sagt Reisigl, der neben Bäcker und Restaurantfachmann auch gelernter Kinesiologe ist und sich aus seiner Praxis bestens mit gestressten Lehrern und überforderten Schülern auskennt. Er weiß: „Erst in der Stille wächst das Gehirn.“ Ja, wenn das so ist, bleib ich doch grad noch ein bisschen sitzen. Wer weiß…?
Bild: Tosca Kühn